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Irgendwer wird schon bezahlen – Die szenischen Künste und die Politik

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Reportage erstellt in Zusammenarbeit mit der Revista Godot
Text: Álvaro Vicente
Videos: Javier de Pascual
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„ – Und wie stellen Sie es an, dass Sie Ihre Schauspieler bezahlen können?

–  Bezahlen? Ich verdiene nichts. Ich habe keinen Pfennig. Hier wird niemand bezahlt.

–  Ist ja toll. Und wovon lebt Ihr?

–  Am Anfang haben wir von einer staatlichen Subvention gelebt. Das waren hunderttausend Peseten im Jahr für mehr als dreißig Leute, dazu die Inszenierung, die Ausstattung, Kostüme, die Benzinkosten für die Touren. Dann kam der Tag, an dem die Subvention auf fünfzigtausend Peseten gekürzt wurde. Und jetzt ist sie ganz weggefallen…

– Und was macht Ihr jetzt? 

– Wir spielen weiter. Irgendwer wird schon bezahlen …

Und García Lorca lacht zufrieden.“ 

Palabra de Lorca. Declaraciones y entrevistas completas (Lorca Wort für Wort. Erklärungen und vollständige Gespräche). Malpaso Ediciones, Barcelona 2017.
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Einleitung

Es gibt einen Satz, der mich seit einiger Zeit beschäftigt, vor allem, seitdem der Feminismus bewusst in mein Leben getreten ist: das Private ist politisch. Darum fange ich diesen Text bei mir selbst an. Im April 2019 trat ich mit einer Gruppe von Künstlerinnen, Schauspielern und Musikerinnen ein Aufenthaltsstipendium für ein Bühnenprojekt in den Naves Matadero an. Das Stipendium ist in drei Phasen gegliedert: die erste im April und Mai, die zweite im Dezember, die dritte im Januar und Februar 2020.

Wir blicken auf eine intensive Wahlperiode zurück. Auf die Parlamentswahlen vom 28. April 2019 folgte der Super-Wahlsonntag 26. Mai, an dem die kommunalen, regionalen und europäischen Volksvertretungen neu gewählt wurden. Daran, dass ein Regierungswechsel die Hoffnungen und Bemühungen vieler Leute zunichtemacht, sind wir bereits gewöhnt. Und das betrifft alle Bereiche, von der Politik bis zur Kultur. Das kann zum Beispiel bedeuten, dass die neuen Verantwortlichen für Kultur in der Madrider Stadtverwaltung die künstlerische Leitung der Naves Matadero womöglich in andere Hände legen und ich mein Stipendium nicht wie vorgesehen abschließen kann.
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Unsicherheit, Kurzfristigkeit und Abhängigkeit

Diese Unsicherheit nagt seit jeher an der Arbeit der Künstler in Spanien. Es ist nicht unüblich, dass unmittelbar zuvor geschlossene Vereinbarungen nach einem Regierungswechsel nicht eingehalten werden. Diese Abhängigkeit von politischen Entscheidungen bestimmt den gesamten Kulturbereich, der existentiell von der öffentlichen Hand abhängt. Kurzfristiges Planen und Handeln ist die Norm.
Und es ist diese perverse Normalität, die uns das kulturelle Zusammenwachsen mit dem Rest Europas unmöglich gemacht hat, wohin auch immer wir schauen, beginnend mit Frankreich, wohin wir mit bewunderndem Neid und provinzieller Bewunderung blicken. Und auch wenn es stimmt, dass es mit dem Verständnis der Kultur als vorrangigem Staatsziel in unserem Land etwas hapert (was in den Ländern in unserem Umfeld nicht infrage gestellt wird), ist in Spanien vielleicht nicht alles gar so schlimm? Oder doch?

Nehmen wir uns die Zahlen einmal genauer unter die Lupe und unterhalten uns mit verscheidenen im Theaterbereich aktiven Personen. Jeder möge dann seine Schlüsse ziehen.   Eingangs wollen wir mit Nachdruck festhalten, dass die szenischen Künste in unserem Land dank der Initiative der öffentlichen Hand existieren. Diese Feststellung bezieht sich nicht ausschließlich auf die ausgewiesenen Theater und Konzertsäle und die Produktionsfirmen, die von den drei Verwaltungsebenen abhängen: der kommunalen, der regionalen und der staatlichen. Auch die privaten Bühnen – sei es das sogenannte kommerzielle Theater im mittleren oder größeren Format oder das unabhängige, alternative oder kleinformatige Theater – sind unmittelbar mit der Kulturpolitik verbunden, ebenso wie mit der Wirtschaft, dem Arbeitsmarkt, dem Bildungswesen oder der Territorialpolitik.
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Die szenischen Künste in Zahlen

Dem Statistischen Jahrbuch Kultur von 2018 zufolge (herausgegeben vom Kultusministerium mit Zahlen bis Ende 2017) gibt es in Spanien 1.656 feste Spielstätten, von denen 71,4 Prozent (1.183) in öffentlicher Trägerschaft sind (Kulturzentren und kommunale Mehrzweckhallen eingeschlossen). 1.037 dieser Spielstätten sind Bestandteil des Spanischen Netzwerks der Theater und Auditorien, zu dem außerdem 15 regionale und provinziale Stätten sowie 96 Festivals gehören. Auf der anderen Seite sind in unserem Land 3.966 Theatergruppen und 833 Tanzkompanien registriert.


Es gibt rund 687.000 Arbeitsplätze im Kulturbereich, dies entspricht 3,6 Prozent der arbeitenden Bevölkerung (rund 417.000 Männer und 270.000 Frauen), von denen 73.200 als „kreative Künstler und Interpreten“ gelten (hier liegt der Anteil zwischen Männern und Frauen bei jeweils etwa 50 Prozent). Innerhalb der Europäischen Union nimmt Spanien den achten Rang ein, was den prozentualen Anteil der Beschäftigten im Kultursektor betrifft, hinter Schweden (4,8 Prozent), Großbritannien (4,7 Prozent), den Niederlanden (4,5 Prozent), Belgien (4,3 Prozent), Deutschland (4,0 Prozent), der Tschechischen Republik (3,9 Prozent) und Italien (3,6 Prozent), hinter Spanien folgen Frankreich (3,5 Prozent) und Polen (3,5 Prozent). Von den 159.800 Personen, die laut dem Statistischen Jahrbuch in den Bereichen „Design, Kunst, Übersetzung und Aufführung“ beschäftigt sind, arbeiten 59,4 Prozent ohne Anstellung, 26,9 Prozent haben einen unbefristeten und 13,8 Prozent haben einen befristeten Arbeitsvertrag. Die Lohnbruttokosten je Mitarbeiter und Jahr betrugen demnach in diesem Bereich im Jahr 2017 29.256 Euro, der höchste Wert seit dem Jahr 2013.


Im Studienjahr 2017/18 wurden 400.000 Studierende in den offiziellen künstlerischen Studiengängen immatrikuliert, die Mehrzahl (82,5 Prozent) in Musik, 9,4 Prozent in Tanz und 0,6 Prozent in Schauspiel, ein Anteil, der seit 2002 praktisch unverändert ist. Es wäre irreführend, würde man sich mit Blick auf die szenischen Künste allein auf diese Zahlen stützen, um die wirkliche Zahl der Studierenden einzuschätzen. Es gibt keine genauen Zahlen, aber allein in Madrid gibt es hunderte – wenn nicht tausende – Theater-Studenten an Privatschulen, die im ersten Jahrzehnt dieses Jahrhunderts in großer Zahl entstanden sind. Um den Überblick über die Bildungslandschaft abzuschließen, sei angemerkt, dass sich im vergangenen Semester 34.000 Personen für ein humanwissenschaftliches Abitur, 27.200 in kulturnahen Ausbildungsgängen an Berufsschulen und 190.500 in kulturnahen Universitätsstudiengängen eingeschrieben haben.
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Im Haushaltsjahr 2016 betrug die Summe der vom Staat ausgewiesenen Kulturausgaben 663 Millionen Euro, von denen 134 Millionen Euro für die szenischen Künste aufgewendet wurden. Nach Angaben von Amaya de Miguel, der amtierenden Direktorin des INAEM (Staatliches Institut für die szenischen Künste und Musik), waren es zwei Jahre später 156 Millionen Euro, die dieser eigenständigen, dem Kultusministerium zugeordneten Institution zur Verfügung standen. Vom INAEM hängen direkt dreizehn künstlerische Einrichtungen ab, darüber hinaus ist das INAEM an fünfzehn Festivals beteiligt und in den Patronaten von Teatro de La Abadía, Teatro Real, dem Teatre Lliure in Barcelona oder dem Teatro de la Maestranza in Sevilla vertreten.

Was die weiteren öffentlichen Kulturinvestitionen angeht, so haben die Autonomen Gemeinschaften im Haushaltsjahr 2016 insgesamt 1,054 Milliarden Euro ausgegeben, eine Summe, die im Jahr 2008 fast doppelt so hoch war, was eine Vorstellung von den krisenbedingten Kürzungen in den Etats für Kultur vermittelt. Im Bereich der darstellenden Künste ging es konkret um 251 Millionen Euro. Zu den regional (in der Zuständigkeit der Autonomien) bewirtschafteten Theatern gehören zum Beispiel die Teatros del Canal in Madrid mit einem Budget von 3,7 Millionen Euro in der laufenden Spielzeit oder das Teatro Central in Sevilla mit knapp einer Million Etat.

Aber die größten Garanten für den szenischen Spielbetrieb in Spanien sind langfristig in ökonomischer Hinsicht die Stadtverwaltungen, die  – auch das sei angemerkt  – 3,083 Milliarden Euro im Jahr 2016  beigesteuert haben, 25 Prozent weniger als 2010. Nicht zufällig sind die kommunalen Institutionen die Träger der Mehrzahl der über ganz Spanien verstreuten Bühnen. Fast alle Städte mit mehr als 30.000 Einwohnern verfügen über ein Stadttheater. Die Stadtverwaltung von Madrid verfügt als Hauptstadt und neuralgisches Zentrum für Bühnenproduktionen und Aufführungen über das Teatro Español, das Teatro Circo Price, das Teatro Fernán Gómez Centro Cultural de la Villa, Naves Matadero Centro Internacional de Artes Vivas sowie das Centro Cultural Conde Duque, darüber hinaus über ein Netz von Kulturzentren in den Stadtbezirken. Schon bald (voraussichtlich im Jahr 2020) soll eine neue Spielstätte hinzukommen, das Centro Cultural Daoiz y Velarde. 

Wir schließen dieses Kapitel mit einigen allgemeinen Angaben. Dem letzten Jahrbuch der SGAE (Allgemeine Gesellschaft der Autoren und Verleger) zufolge, das 2018 mit den Zahlen aus dem Jahr 2017 veröffentlicht wurde, erreichten Bühnenaufführungen in Spanien etwa 13 Millionen Zuschauer (eine im Grunde seit 2012 gleichbleibende Zahl) mit Gesamteinnahmen in Höhe von 232 Millionen Euro. Die Kultur als Wirtschaftsfaktor trug im Jahr 2016 3,3 Prozent zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) bei (die im Zusammenhang mit geistigem Eigentum erfolgten wirtschaftlichen Aktivitäten sind hierin enthalten). Innerhalb dieses Kultur-BIPs entfallen 9,4 Prozent unmittelbar auf die Bühnenkunst, rund 2,6 Milliarden Euro.
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Politischer und gesetzlicher Rahmen

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Politische Unterstützung über Zuschüsse hinaus
Um das Bild abzurunden und den Gedanken über das erwähnte Ausmaß und die grundlegende Bedeutung der öffentlichen Hand für die Bühnenkunst in Spanien zu vertiefen, sei erwähnt, dass sämtliche privatwirtschaftlichen Initiativen – wir beurteilen hier nicht ihre Angemessenheit, ihre Effizienz oder Reichweite, sondern wir notieren lediglich ihr Vorhandensein – von zahlreichen öffentlichen Förderungspaketen (staatlichen, regionalen oder kommunalen) für das die Produktion und den Vertrieb unterstützt werden. Hinzu kommen andere Hilfen, zum Beispiel über Restaurierungsprogramme für Theaterbauten oder andere Programme wie Platea, das vom INAEM und dem Spanischen Verband der Kommunal- und Provinzverwaltungen angeregt wurde, um ausgewählten Kompanien Mindesteinkünfte in Form von Ergänzungszahlungen zu den Einnahmen an den Abendkassen zu garantieren.   Es wird hier definitiv greifbar, in welchem Maß politische Entscheidungen im Kulturbereich auf die spätere künstlerische Arbeit einwirken, indem sie – so oder so – diese ermöglichen oder eben nicht.

Aber es geht um noch mehr. Zahlreiche politische Entscheidungen werden an ganz anderen Stellen getroffen (Behörden für Stadtplanung oder Umwelt im kommunalen Rahmen; Zuständigkeiten für Gesundheitsschutz oder Bildung auf regionaler Ebene; selbst das nationale Finanzministerium), die zweifellos die die Bedeutung der öffentlichen Hand für kreative Arbeit spürbar erhöhen, und wir wollen hier den beträchtlichen bürokratischen Aufwand beiseite lassen, den dieser Umgang mit den Verwaltungen erfordert. Jeder weiß, wie belastend, verunsichernd und entmutigend er sein kann.
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Das Künstlerstatut

In diesem Sinne steht das Künstlerstatut für die aktuellsten Entwicklungen, ein vom Kulturausschuss des Parlaments erstellter Bericht, der dem spanischen Kongress vorgelegt und im September 2018 ebenda einstimmig verabschiedet wurde. Dies ist wichtig: Es bleibt zu hoffen, dass diese Einstimmigkeit nicht unter der aus den Wahlen vom 28. April hervorgehenden Regierung zu Bruch geht und dass das Statut seinen gesetzgeberischem Lauf nehmen wird (unter normalen Umständen könnte diese Ausarbeitung in fünf bis sechs Jahren vollständig erledigt werden). So wie bereits mit dem ersten Maßnahmenpaket geschehen, das 2018 auf der letzten Sitzung des Ministerrates unter anderem die Senkung der Mehrwertsteuer für kulturelle Dienstleistungen physischer Personen auf zehn Prozent auf den Weg gebracht hat.
Das Statut des Künstlers enthält 75 Punkte und mehr als 60 Maßnahmen in Form von Gesetzesvorlagen, um die besondere Prekarietät im Kulturbereich zu bekämpfen und unser kulturelles Ökosystem lebensfähig zu erhalten. Mit der Unterstützung der Ministerien für Finanzen, Gesundheit und Arbeit werden Fragen erörtert wie die der im Arbeitsleben von Künstlern typischen Unterbrechungen und Übergänge (Tänzer und Zirkusartisten sehnen dringend eine Lösung herbei), der Sozialversicherung, der Vereinbarkeit eines Rentenbezugs mit fortgesetzter kreativer Tätigkeit oder der Katalogisierung der Berufe im Kulturbereich, um beispielsweise mehr Sicherheiten in Fragen der Gewerbesteuer zu haben. Letztlich handelt es sich um Maßnahmen, die allesamt die arbeitsweltliche Situation der im Kultursektor Tätigen verbessern und deren Besonderheiten berücksichtigen sollen.   Eduardo Maura, Professor für Ästhetik an der Universidad Complutense in Madrid und in der vergangenen Legislaturperiode Sprecher für Kulturpolitik der Parlamentsfraktion  von Unidos Podemos, gehörte zu jenen Abgeordneten, die am Zustandekommen dieser wahrhaft revolutionären Initiative beteiligt waren.

In dem Video rechts erklärt er selbst eine Reihe von sehr wichtigen Details des Künstlerstatuts (Auszug aus dem Gespräch, das wir in der Radiosendung La Lupa Cultural bei M21Radio im September 2018 mit Maura geführt haben).
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Referenzmodelle in Europa

Um sich von der gegenwärtigen Situation der spanischen Bühnenkunst ein umfassendes und kritisches Bild zu machen, ist es hilfreich, einen kurzen Blick auf das europäische Umfeld zu werfen. Es wird gern behauptet, Frankreich und Großbritannien seien die beiden Extreme einer Achse der Finanzierung des Kulturbereichs, die von staatlichem Protektionismus auf der einen Seite bis zur prädominanten Privatinitiative auf der anderen Seite reicht. Das mag zwar stimmen, aber wir sollten nicht übersehen, dass der Arts Council of England und die staatliche englische Lotterie jährlich rund eine Milliarde Euro zur Unterstützung der Kultur bereitstellen.

Sammy Metcalfe verkörpert 50 Prozent der baskisch-englischen Kompanie Sleepwalk Collective, die sich seit einem Jahrzehnt in der zeitgenössischen Theaterarbeit zwischen Spanien und Großbritannien engagiert (sie sind die Initiatoren des Festivals Intacto in Vitoria, dessen neunte Auflage in diesem Jahr just aus Mangel an öffentlichen Zuschüssen nicht stattfinden kann). Sammy erzählt uns, dass im Gegensatz dazu, was hier stattfindet, „die Kulturinstitutionen in England viel weniger politisiert sind, die Organismen, die öffentliches Geld an kulturelle Projekte vergeben, sind völlig unabhängig von politischen Strukturen. Es kommt dort nicht vor, dass sich, wie in Spanien, bei einem Regierungswechsel in der Kulturpolitik alles verändert.“  

Für Cesc Casadesús, früher künstlerischer Leiter des Mercat de les Flors in Barcelona und derzeit Direktor des Festivals GREC, dem zentralen Sommertreffen der Bühnenkunst in der katalanischen Hauptstadt, „gibt es Dinge, die man vom englischen Modell kopieren sollte, etwa die Transparenz oder die Gestaltung der öffentlichen Ausschreibungen, aber das ist kompliziert. Denn dort hat – im Gegensatz zu hier oder in Frankreich – der private Sektor viel Macht. Die öffentliche Hand bestimmt dort nicht so sehr, was im Bereich der szenischen Künste passiert.“

Die Dramatikerin, Regisseurin und Journalistin Pilar G. Almansa hat in London gelebt und gearbeitet, sodass sie die Situation dort aus erster Hand kennt: „Im Verständnis für Kultur und auch als Land hat man in Großbritannien eine klare Vorstellung von der Rolle der Kultur: das Förden von Gemeinschaft, von Gemeinschaften, nicht nur innerhalb des eigenen Landes, sondern auch mit Blick auf die Länder ringsum, und dadurch sind die Fördermechanismen für Künstler viel einfacher. In jedem Fall meine ich, wir sollten über Folgendes nachdenken: Im Schnitt liegt das Alter der Besucher von Bühnenkunstwerken bei 55 Jahren, das ist nicht nur in Spanien so, sondern auch in anderen Ländern. Man wird die Politiken in all diesen Ländern überdenken müssen, denn das Bildungswesen ist in Großbritannien, Spanien, Schweden oder Iran jeweils anders, aber dennoch ist das Alter der Theaterbesucher überall gleich.“
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Oder doch eher das mitteleuropäische Modell?
Wenn sich das spanische Modell dem eines anderen Landes ähnelt – und sei es entfernt – dann wohl dem Frankreichs und Deutschlands, zwei Ländern, in denen die Funktionsweise des Theaterbetriebs sehr mit der öffentlichen Hand verbunden ist. Salvador Sunyer, der Direktor des Festivals Temporada Alta in Girona, nennt zwei bezeichnende Daten zu den Unterschieden zwischen Spanien und diesen beiden Ländern: „In unserem Land gehen nur sieben Prozent der Leute mehr oder weniger regelmäßig ins Theater, in Frankreich tun das 28 Prozent, in Deutschland 32 Prozent. In Spanien gibt der Staat 0,5 Prozent seines Gesamtbudgets für Kultur aus, in Frankreich sind es 2,8 Prozent, in Deutschland 3,2 Prozent.“
Manuel Llanes, künstlerischer Leiter der drei Theater, die von der Regionalregierung in Andalusien verwaltet werden (Central in Sevilla, Alhambra in Granada und Cánovas in Málaga), zeigt sich begeistert vom französischen Modell: „Egal ob sie eher rechts oder links zu verorten sind, respektieren die Regierungen immer die Kulturprojekte. Sie halten drei grundlegende und essenzielle Autonomieprinzipien immer hoch, und da gibt es viel zu lernen, nicht nur in Spanien: künstlerische Autonomie, Autonomie im Management, finanzielle Autonomie.“ Für Casadesús ist die Lage sehr klar: „Das ist ein Modell, das in unserem Land kaum kopiert werden kann, denn bei uns ist die öffentliche Hand im Kulturbereich schwach. In Frankreich sind die Organisationen viel professioneller, die Strukturen viel gefestigter.“  

Ähnlich wie in Deutschland ist auch das französische Modell des Theaterbetriebs ein sehr dezentralisiertes, es gibt 19 nationale Choreographie-Zentren, 32 Nationalzentren für Dramatik und sieben regionale Dramatik-Zentren. Im Gegensatz zu Spanien, handelt es sich um ein Netz, in dem mehr Wert auf die Förderung der Kreation und Produktion gelegt wird als auf die Aufführungspraxis. In Deutschland gibt es in praktisch jeder Stadt ein produzierendes Theater mit festem Ensemble. Der Schweizer Regisseur Rafael Sánchez (Kind spanischer Eltern, wie leicht zu erkennen ist), der häufig an deutschen Theatern arbeitet, zeigte sich in der vergangenen Spielzeit, als er hier erstmals in Madrid im Teatro de La Abadía Schweigen über Madrid (Tiempo de Silencio) inszeniert hat, regelrecht überrascht von der Vielzahl der großen Spielstätten in Madrid: „Diese Häuser, dazu mit eigenem Ensemble wie in Deutschland – das wäre die perfekte Mischung.“
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Italien wiederum hat seine öffentliche Theaterszene fest an seine Regionen gebunden (was unseren Autonomen Gemeinschaften entspricht), die bei der öffentlichen Unterstützung der Bühnen an vorderster Front stehen. Und wenn wir in den Osten Europas schauen, stoßen wir ebenfalls auf Modelle mit starker öffentlicher Förderung. In Polen, Tschechien und in Russland ist diese Unterstützung eng an das hohe gesellschaftliche Ansehen des Theaters gebunden, ein Erbe aus sowjetischer Zeit. In Ländern wie Polen wurde das Theater in den letzten Jahren  von kontroversen Entscheidungen seiner katholisch-ultranationalen Regierung erschüttert. Sie wissen von der Macht, die die Bühnen haben, und sie nehmen Einfluss auf sie, um ihre Ideen zu verbreiten. Ungefähr so, wie wenn eine öffentliche Rundfunkanstalt von einer bestimmten ideologischen Position komplett übernommen wird. Besondere Erwähnung verdient Belgien, vor allem der flämische Teil des Landes, wo es keine so starke Theatertradition gab wie in den umliegenden Ländern und wo man, beginnend in den achtziger Jahren, alles auf eine Karte setzte: die zeitgenössische Bühnenkunst, die heute ein nationales Aushängeschild ist und mit Stolz auf den Bühnen in aller Welt präsentiert wird.

Das gegensätzliche Extrem bildet Portugal, wo die Szene beim Ausbruch der letzten Krise, die das Land vielleicht stärker erschüttert hat als andere Länder unserer Umgebung, von Seiten des Staates komplett sich selbst überlassen wurde. Und dennoch zeigt sich die Theaterszene in Portugal heute auf der Höhe der belgischen, der französischen, der deutschen und der englischen. Und sie hat das mit Hilfe zeitgenössischer Produktionen erreicht, nicht mit den Klassikern. Der Choreograph und Regisseur Rui Horta meint: „In Portugal haben wir eine sehr starke freie Szene, die aber vom Staat schlecht behandelt wird. Doch die Krise hat uns außerordentlich widerstandsfähig gemacht, und wir haben uns gegenseitig sehr unterstützt. Nie haben wir aufgehört zu experimentieren. Es gibt eine ungemein lebendige portugiesische Tanzszene, und ein so experimentierfreudiger Mann wie Tiago Rodrigues leitet jetzt, mit 38 Jahren, das Nationaltheater in Lissabon. Und weil wir wissen, was arm sein heißt, wissen wir auch etwas über Solidarität. Derzeit etwa unterstützen wir die Griechen sehr, denn im Vergleich mit ihnen sind wir die Reichen.“
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Der nationale Kontext

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Staatliche Finanzierung versus künstlerische Freiheit

Paz Santa Cecilia ist eine erfahrene Kulturmanagerin, die ein Standbein in den Institutionen hat (vor allem im INAEM) und das zweite unmittelbar bei den Künstlern wie La Ribot, mit der sie gerade arbeitet. Sie war Direktorin des Festivals Escena Contemporánea, das uns in guter Erinnerung ist, und des Festivals ÍDEM in La Casa Encendida in Madrid, ein Projekt zur Förderung der sozialen Inklusion, das die Tage zur Sozialen Inklusion und Bildung in den Szenischen Künsten ergänzt, eine Initiative, die seit ihren Anfängen im Jahr 2009 ebenfalls frischen Wind in die Szene gebracht hat. „In Spanien war in den 30 Jahren, die ich dabei bin, die fehlende Stabilität am stabilsten. Was ich an Europa bewundere, an jedem Land aus unserem Umfeld, ist der Zugang zur Kultur. Hier verbringt man sein Leben damit zu überzeugen, zu verteidigen, zu rechtfertigen, zu kämpfen. Darum sind so viele spanische Künstler zum Arbeiten ins Ausland gegangen, hier geht man nicht sehr gut mit ihnen um. Mariano Rajoy hat vor einigen Jahren gesagt, Künstler seien Kostgänger. So etwas hat man und wird man niemals von einem Regierungschef in einem anderen europäischen Land hören.“ 
Für einen Teil der Bevölkerung und der Politiker sind „diese Film- und Theaterleute“ weiterhin verdächtiges Volk, Schmarotzer, Leute, die von den Subventionen leben, als sei das eine soziale Plage (ich meine, es werden immer weniger, aber der ultrarechte Vormarsch lässt mich zweifeln). Viele wirtschaftliche Tätigkeiten werden vom Staat subventioniert, von der Autoindustrie über die Landwirtschaft bis zur Wissenschaft. Oder die Kirche. Kürzlich wurde bekannt, dass die Regionalregierung Andalusiens ein Finanzierungspaket zur Unterstützung der Bruderschaften und religiösen Vereine für ihre Aktivitäten während der Karwoche in Höhe von einer halben Million Euro billigte, etwas, was es vorher nicht gegeben hat. Die neue andalusische Regionalregierung ist der Auffassung, dies sei erforderlich, um den kulturellen und touristischen Wert dieser religiösen Manifestationen zu stützen. Glücklicherweise wird der Etat der regional verwalteten Theater in Andalusien bisher nicht angetastet, wie Manuel Llanes mitteilt.

Offensichtlich ist, dass die „Marke Spanien“ außerhalb unserer Grenzen stärker mit Olivenöl und Schinken in Verbindung gebracht wird und weniger mit kulturellen Verdiensten (mit Ausnahme des Flamenco). Die öffentlichen Verwaltungen unterstützen bühnenkünstlerische Aktivitäten, insbesondere wenn sie gefährdet sind, unter Marktbedingungen nicht zu überleben, das heißt Produktionen an der Basis, zeitgenössische Bühnenkunst. Darin besteht ihre Pflicht, und man darf diese Art der Abhängigkeit nicht als ein Problem betrachten.

Fefa Noia, die künstlerische Leiterin des Centro Dramático Galego formuliert es folgendermaßen: „Ich würde nicht von Abhängigkeit reden, sondern davon, dass eine Unterstützung notwendig ist, das ist unverzichtbar und nicht schädlich. Die Produktivität des Theaterlebens ist keine unmittelbar materielle, sie verläuft nicht über reines Geldverdienen. Wir befinden uns in einem System, das in mancherlei Hinsicht völlig gegensätzlichen Wertvorstellungen anhängt. Letztlich ist die Funktion der öffentlichen Gelder doch das Re-Investieren von Steuergeld in Dinge, die den Bürgern dann nützen. Die Frage ist, warum es so viel wichtiger ist, Straßen in tadellosem Zustand zu haben – und ich zweifle nicht daran, dass es wichtig ist –, aber warum kein Theater in tadellosem Zustand? Und nicht zuletzt sehen wir doch, dass vom Autoverkehr eine reale Gefahr für den Planeten ausgeht.“
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Der Alltag der spanischen Bühnenkünstler ist ein Hin und Her im Umgang mit den Institutionen, eine Beziehung, in der die einen ihren Bedarf anmelden und die anderen einen unzureichenden Unterhalt bieten, der zudem oft von Ineffizienz oder Desinteresse geprägt ist. Jedoch mischen sich die Institutionen oder kulturpolitisch Verantwortlichen nie in den Inhalt der Werke ein, in diesem Sinn ist die Freiheit geradezu heilig. Nicht das ist es, was den Gang der Dinge beeinflusst. Was aber fehlt, ist eine andere Art der Aufmerksamkeit. Angélica Liddell, unsere derzeit international wohl erfolgreichste Bühnenkünstlerin, beschloss 2014, nicht mehr in Spanien aufzutreten und tat dies in einer anklagenden Performance, die sie als Protest gegen ein institutionalisiertes Desinteresse verstand. In Frankreich verlieh man ihr die Auszeichnung Chevalier des Arts et Lettres. Zum Glück kehrte sie 2018 nach Spanien zurück.

Der Grund für diese Rückkehr hatte – wenn auch indirekt – mit einer politischen Entscheidung zu tun. Mit der Berufung von Jaime de los Santos zum Kulturdezernenten der Regionalregierung in Madrid war ein radikaler Wechsel im Management der Teatros del Canal verbunden, die von da an von einer Doppelspitze mit Àlex Rigola und Natalia Álvarez Simó geleitet wurden. Rigola legte sein Amt nieder, durchaus aus politischen Motiven im Zusammenhang mit den Polizeieinsätzen vom 1. Oktober 2017 in Katalonien, sodass Álvarez Simó als alleinige Führungsfigur auf dem Flaggschiff der Madrider Kultur verblieb. „Was das öffentlich finanzierte Theater angeht, müssen ein paar Zielvorstellungen verändert werden“, sagt uns die Direktorin der Teatros del Canal, „damit für die Zuschauer das Recht auf Kultur garantiert bleibt, ihre Wahlfreiheit und Kritikfähigkeit. Es geht nicht darum, an der Theaterkasse Geld zu verdienen. Hier liegt die wahre Freiheit: nicht ausschließlich nach quantitativen Kriterien bewertet zu werden. Aber um diese Freiheit ausleben zu können, brauchst du einen vernünftigen Etat. Wenn ich Freiheit spüre und ein angemessenes Budget habe, kann ich das an meine Künstler weitergeben, damit sie sich frei fühlen, um sich auszuprobieren, kreativ zu sein und sich zu entwickeln. Weder die Institution noch die Künstler sollen Vorträge halten, sie sollen Fragen aufwerfen, die Probleme unserer heutigen Gesellschaft ansprechen, immer im Kontakt mit dem Moment, den wir durchleben. Das zeitgenössische Theater nennt man so, weil es über die gegenwärtige Gesellschaft reflektiert, so wie es Museen oder Filmemacher tun.“
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Die prekärsten der Szene

Sind die Teatros del Canal mit ihren fast vier Millionen Euro Budget und mit ihrem Centro de Danza Canal, eine unverzichtbare Unterstützung für die Tanzszene, eine Oase? Die Frage ist nicht leicht zu beantworten. In Katalonien, sagt uns Cesc Casadesús, sind in den Jahren der Krise im Schnitt 50 Prozent der Mittel für die Bühnen gekürzt worden. In Madrid hingegen hat die Stadtverwaltung in direkter Regie durch die Bürgermeisterin Manuela Carmena und ohne eigenständiges Kulturessort im vergangenen Jahr den in dieser Höhe historisch einmaligen Zuschuss von neun Millionen Euro für die szenischen Künste, verteilt auf mehrere Ausschreibungen, in Aussicht gestellt. Die zweite Tranche der Zuschüsse für Kreatives Schaffen ist freilich noch nicht ausgeschüttet, und viele Kulturschaffende warten auf die diesbezüglichen Entscheidungen der neuen Regierung der Hauptstadt.  
Ein Teil dieser Gelder ist an kleinere Bühnen und Projekte gegangen, die schon immer ein etwas angespanntes Verhältnis zur Stadtverwaltung hatten. Diese Spielstätten waren die Startrampen für viele Künstlerkarrieren. Während der Krisenjahre konnte man einen Boom in diesem Segment verfolgen, begleitet von viel Kreativität aber ebenso viel Prekarität. Álvaro Moreno, Gründer der Spielstätte Nave 73 und derzeit Präsident der Vereinigung Alternativer Spielorte in Madrid, beschreibt die schon historische Spannung zwischen Veranstaltern der freien Szene und der Stadtverwaltung so: „Es gibt kein Gesetz, das im Sinn einer städtischen Verwaltung den Status der alternativen oder freien Spielstätten regeln würde. Eine Spielstättenlizenz kann man nur noch für Gebäude erhalten, in denen es keine Wohnungen gibt. In Madrid werden überhaupt keine Lizenzen mehr für Mehrzwecknutzungen vergeben, denn die waren es, mit denen Diskotheken zugelassen wurden. Man hat das ausgesetzt wegen der damit verbundenen Risiken, vor allem nach dem schrecklichen Vorfall in Madrid Arena im Jahr 2012. Die Regionalregierung von Madrid begann Druck auszuüben bei der Schließung des Espacio Labruc im Stadtteil Malasaña, denn die Betreiber wurden von der Stadtverwaltung derart bedrängt, dass sie schließlich aufgegeben haben. Das hatte immerhin zur Folge, dass eine Lizenzregelung für den Betrieb von kreativen Bühnen-Spielstätten erarbeitet wurde. Und an diesem Punkt sind wir, drei Jahre später, und warten darauf, dass die Sache beschlossen wird. Die Verordnung ist seit anderthalb Jahren ausgearbeitet und wurde noch kurz vor der Wahl verabschiedet (Decreto 40/2019 sobre el Catálogo de Espectáculos Públicos über öffentliche Veranstaltungen gemäß dem LEPAR, dem Gesetz über öffentliche Veranstaltungen und Aufführungen. Nach dreißig Jahren des Kampfes ist damit die Besonderheit der alternativen Bühnenspielstätten anerkannt.

Paz Santa Cecilia weist darauf hin, dass alle diese Widrigkeiten und Streitereien mit den Institutionen „in psychischer Hinsicht für die Künstler furchtbar sind. Um Motivation auszubremsen und Energie zu vergeuden gibt es nichts Effektiveres. Und auf das eigentliche Arbeiten bezogen, wirkt sich das aus auf das Selbstbewusstsein, das Vertrauen, die unmittelbare Lebensweise – habe ich genug zum Leben?“ In der Tat leben Künstler nicht von der Luft, auch wenn Remedios Zafra in einem der aufschlussreichsten Essays der letzten Zeit, Der Enthusiasmus, aufzeigt, „dass die Wertschätzung künstlerischer Arbeit sich sozial verlagert hat hin zu Liebhaberei und Zeitvertreib, etwas, was man in seiner Freizeit betreibt und das kaum als Arbeit anzusehen ist“. Wer sich indes mit der Erarbeitung von Bühnenkunstwerken beschäftigt, weiß etwas über den Wert der Zeit, die man so oft vergeudet „in unendlichen Digital-Bürokratien, die die Möglichkeit für konzentriertes Schaffen und Ausloten, ein wertvolles, dabei seltenes Gut, verschlingen.“ so Zafra.
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Von diesem Punkt an sollte klar geworden sein, dass es nicht einfach ist, die Beziehungen zwischen Bühnenkunst und dem Agieren der Politik in wenigen Worten zu beschreiben, zumal wir über ein Land reden, in dem es drei Verwaltungsebenen gibt, die sich oft genug gegenseitig das Leben schwer machen, vor allem, wenn sie verschiedenen ideologischen Lagern angehören. Und innerhalb jeder dieser Bürokratien hat der technologische Fortschritt keinerlei Vereinfachung gebracht, vieles ist komplizierter geworden, von Transparenz kann keine Rede sein. In größerem oder kleinerem Maß hängt die Bühnenkunst von öffentlichem Wohlwollen ab: Es muss mehr getan werden für die Basisförderung und zeitgenössische Arbeiten; es könnte weniger sein bei Veranstaltungen, die sich des Publikumszuspruchs erfreuen können und darum in den zweideutigen Ruf des Kommerziellen geraten.

Am Ende, so sagt es Paz Santa Cecilia, sind es die Personen, die die Dinge am Laufen halten, nicht die Institutionen, auch wenn uns kein Ausweg bleibt als uns mit ihnen zu arrangieren. Ja, die Teatros del Canal haben Madrid wieder sichtbarer gemacht. Was aber, wenn die Verantwortlichkeiten für Kultur wechseln und damit die aktuelle Führungsriege, die über eine Direktberufung eingesetzt wurde? Es ist richtig, dass die Madrider Stadtverwaltung hilfreich agiert hat, aber es scheint unzureichend zu sein. Das allgemeine Empfinden ist, dass die letzte Stadverwaltung in kulturpolitischen Fragen ein fragwürdiges Erbe hinterlassen hat, auch wenn es – endlich! - einen Kulturbeirat gibt, eine Maßnahme, die auf lange Sicht „ein gut bestelltes Feld hinterlässt – egal, wer gerade regiert –, damit der gesamte Kulturbetrieb mit seinen verschiedenen Disziplinen und Szenen über einen klaren Kommunikationskanal verfügt, um sich fortwährend mit der Stadtverwaltung verständigen zu können “, so sagt es Getsemaní de San Marcos, die scheidende Direktorin für Kulturprogramme bei der Madrider Stadtverwaltung.

Es ist richtig, dass das INAEM seine Selbsterneuerung in Gang gesetzt hat, denn es ist ein langsamer Elefant (das gibt seine Direktorin, Amaya de Miguel, unumwunden zu). Es will auch bei der Förderung von Tournee-Programmen für Madrider Produktionen aktiv werden. Aber das stößt an arbeitsrechtliche Schranken. Auch das Platea-Programm soll erneuert werden, aber wer will sagen, ob es dann dem entspricht, was Carlos Gil, der Doyen der Theaterkritik, kürzlich festhielt: „Das Produktionsoligopol will keinerlei Veränderung.“ Und er sagte weiter: „In der Mehrzahl der Theater in Spanien ist es geradezu verdächtig, wie einheitlich die Spielpläne sind.“ Auch ist zwischen Stadtverwaltung und dem Unternehmen Adif vereinbart worden, einen speziellen Spielort für Tanz im Stadtteil Delicias in der Nähe des Eisenbahn-Museums zu schaffen, aber wann wird das geschehen? Wieder steht die Frage im Raum, was passiert, wenn die Verantwortlichen wechseln oder, wie vor drei Jahren geschehen, die Parteien zu keiner Einigung finden und die Wahlen wiederholt werden müssen. Bleibt dann alles ein weiteres Jahr in der Schwebe?
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Es ist wohl so, dass nach den Jahren der Krise, wie Guillem Martínez in Ctxt kürzlich schrieb, „die Kultur gegenüber den Verwaltungen eine gewisse Autonomie gewonnen hat“, etwa die feministische Kultur mit ihrem großen Aufschwung, oder die Kultur jenseits des kommerziellen Marktes wie das Teatro del Barrio in Madrid, eine kulturelle Kooperative, die sich im fünften Jahr ihres Bestehens als nachhaltig erwiesen hat. Das ist richtig, aber errungen um den Preis minimaler Kosten, wie der Schauspieler und Regisseur Alberto San Juan, einer der Beteiligten der Kooperative, erklärt: „Die Zahlen geben es einfach nicht her, dass die Theatergruppen, die gerade erst am Anfang stehen, sich in der Sozialversicherung anmelden, um dann in den freien Spielstätten auftreten zu können. Man wird ein genossenschaftliches Modell finden müssen oder etwas in der Art, möglichst ohne Kosten und ohne bürokratische Hölle, damit diese Leute am Anfang ihres Berufslebens halbwegs leben können.“

Ja, es nimmt kein Ende, wenn wir Szeneaktiven über Kultur und Theater sprechen, aber „wir sollten uns auch selbst befragen“, sagt die Dramatikerin und Regisseurin Lola Blasco, „und einen Blick darauf werfen, warum wir scheitern und nicht mehr Leute erreichen, denn es ist so, wir erreichen sie nicht. Es hat so eine Haltung unter uns gegeben, irgendwie progre (progressiv), die viele Leute zu Ignoranten erklärt hat, die ihrerseits uns für elitistisch angesehen und uns den Rücken zugewandt haben.“

Ja, und ich werde mein erstes Aufenthaltsstipendium in den Naves Matadero wahrnehmen, wo der derzeitige Leiter, Mateo Feijóo, begleitet von reichlich Polemik und viel Ablehnung von Seiten der Theaterszene in Madrid, eine andere Form des Managements einer öffentlichen kreativen Einrichtung in Gang gesetzt hat, im Einklang mit seinem Umfeld und mit der sozialen Integration als Schwerpunkt seiner Arbeit. Ja, aber erneut fehlt es an Mitteln, und es gibt reichlich Bürokratie. Und ich werde dort jeden Morgen für sechs Stunden zum Arbeiten hingegangen sein, mit einem Rucksack voller Bücher und Enthusiasmus. So sagt das bereits Remedios Zafra, Autorin des Essays Der Enthusiasmus: „Die Prekarität ist eine Besonderheit der heutigen Kultur, sie zieht sich durch sie hindurch, sie charakterisiert sie, sie definiert sie.“ Die Prekarität ist der Feind. Die Bildung unsere Hoffnung. Die Bühnenkunst tut uns als Gattung Gutes. Darum ist sie immer noch da, 2.500 Jahre später, immer noch an ihrer unsicheren Zukunft krankend.
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Über die Autoren

Text: Álvaro Vicente, Journalist mit Spezialgebiet szenische Künste. Chefredakteur des Online-Magazins Revista Godot.

Videos: Javier de Pascual, Schriftsteller, Theaterregisseur Filmemacher und Entrepreneur. Produzent und künstlerischer Leiter von MundiArtistas, familiäres Theaterensemble mit zehnjähriger Bühnengeschichte.

Schlussredaktion: Johannes von Stritzky, Internetredakteur am Goethe-Institut Madrid.

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