Phase eins
Utopie auf ZeitParis und seine Grands Voisins
Am Anfang war ein leerstehendes Krankenhaus
Brachliegende Orte wie diese gibt es in Großstädten wie Paris so einige. Für die Eigentümer ist es oftmals billiger, die Gebäude verfallen zu lassen als für die Kosten einer Renovierung aufkommen zu müssen. Das besagte ehemalige Krankenhaus – vor allem bekannt für seine Geburtenstation – muss aus finanziellen Gründen ab 2008 Stück für Stück seine Funktionen einstellen. Skandale, wie zum Beispiel der Tod eines Kindes aufgrund schlechter medizinischer Versorgung oder die Entdeckung konservierter Föten treiben die Schließung voran.
Jean-Baptiste Roussat, Vorsitzender von Plateau Urbain fasst die Ausgangsidee seines Vereins so zusammen: „Viele Büros stehen leer in der Region in und um Paris. Dem gegenüber aber gibt es so viele Kreative mit guten Projektideen, die keinen Freiraum finden, um diese auch umzusetzen. Wir setzen uns dafür ein, dass diese Freiräume genutzt werden können.“ So geschieht es auch auf dem Gelände der Grands Voisins. Insgesamt arbeiten hier zu Beginn jeden Tag mehr als 1000 Menschen in 140 verschiedenen Vereinen und Start-ups. So wie Adrien Collet. Der Instrumentenbauer ist seit 2015 ein großer Nachbar und stellt in seinem Atelier nicht nur Gitarren her, sondern gibt hier lebenden Geflüchteten auch kostenlosen Gitarrenunterricht. Oder Catherine Griss. Die Fotografin ist ebenfalls von Anfang an dabei und veröffentlicht nun ein Buch mit Fotoreportagen – ein einzigartiges Porträt der Grands Voisins.
Einblick in die Fotoreportage von Catherine Griss
Lieber weiter im Text
Was macht diesen Ort zu dem, was er ist?
Städte im Wandel – Größer, voller, teurer und dann?
Wir
haben mit dem Urbanisten Didier Paris darüber gesprochen, mit
welchen Herausforderungen heutige Metropolen wie Paris angesichts
massiver Gentrifizierung und Wohnungsmangel konfrontiert sind und wie
Projekte wie die Grands Voisins Teil einer alternativen
Stadtentwicklung sein können.
Klicken Sie, um das Interview
zu lesen!
Raum für Experimente
Phase zwei
Und was kommt jetzt?Vorhang auf für Phase Zwei
Doch es geht weiter! Denn vor bereits über einem Jahr schlug die Firma Paris Batignolles Aménagement, die für die Umgestaltung des Viertels verantwortlich ist, den Grands Voisins vor, den Teil des Geländes weiter zu nutzen, der noch nicht von den Bauarbeiten betroffen ist. Im Oktober schließlich kam dafür das Einverständnis von der Stadtverwaltung. Zwei weitere Jahre dürfen die Großen Nachbarn nun auf dem Gelände weilen. Mit Einschränkungen, denn ein Großteil des Terrains wurde bereits für die Öffentlichkeit geschlossen, die Bauarbeiten haben bereits begonnen. Drei der alten Gebäude des Krankenhauses bleiben bestehen und werden weiterhin als Notunterkünfte genutzt. Alle anderen Gebäude werden abgerissen. Neue Wohneinheiten sollen hier entstehen. Nur 100 von den ursprünglich 600 Menschen, die hier beherbergt wurden, können in Phase Zwei bleiben. Alle anderen müssen umziehen „oder landen wieder auf der Straße“, sagt Fotografin Catherine Griss, die das Projekt von Anfang an mit dem Fotoapparat begleitete. Sie sieht Phase Zwei der Großen Nachbarn eher skeptisch. „Nur leider spricht niemand darüber“, sagt sie resigniert.
Alles Öko oder was?
Impressum
Stefanie Eisenreich
Produktion und Redaktion:
Stephanie Hesse, Stefanie Eisenreich
Bild:
Maxime Dufour - Yes We Camp!, Catherine Griss, Stephanie Hesse - Goethe-Institut Frankreich
Übersetzung und Untertitel:
Marion Herbert
© 2018 Goethe-Institut Frankreich
Catherine Griss gallery
Im März
2017 veranstalten die beteiligten Strukturen einen großer Karneval
mit Straßenumzug.
Foto: © Catherine Griss
Die
vierte Etage des pediatrischen Gebäudes wird zerstört, bevor die
Zimmer der Bewohner dort errichtet werden.
Foto: © Catherine
Griss
Ein
Foto von Catherine Griss wird an der Gebäudefassade
angebracht.
Foto: © Catherine Griss
Dampf
über der Stadt, große Bädernacht, Winter 2017
Foto: ©
Catherine Griss
Die
Bewohner erfinden Weltküche-Stände, um sich Geld dazuzuverdienen.
Daraus entstand eine feste Aller-Welts-Küche, die von den Bewohnern
betreut wird.
Foto: © Catherine Griss
In
einem Zimmer des Wohnheims
Foto: © Catherine Griss
Interview Didier Paris
Guten Tag, Herr Paris. Können Sie uns sagen, mit welchen Fragen sich Großstädte aktuell beschäftigen?
Projekte wie die Grands Voisins wollen leer stehende Gebäude und Flächen nutzen, um eine alternative Stadt aufzuzeigen. Glauben Sie, dass sie eine Zukunft haben, oder ist das eine Utopie?
Wir sehen, dass die Behörden dieses Experiment unterstützen. Paris hat lange darunter gelitten, dass alle städtischen Programme auf Leute zugeschnitten waren, die sich eine Wohnung in Paris leisten konnten. Normalerweise beobachtet die Politik, was geschieht. Bei den Grands Voisins wurde eine temporäre Nutzung erlaubt, die 2017 enden sollte. Wie sich herausgestellt hat, funktionierte es. Die Stadt ist natürlich interessiert, denn es ergeben sich Verbindungen zum Projekt des Ökoviertels. Aber was die Integration angeht, den Coworking Space usw., bleiben solche Experimente noch eine Randerscheinung.
Werden derartige Experimente in der Stadt der Zukunft eine größere Rolle spielen?
Ich glaube, in der Zukunft wird es eine neue Art geben, die Stadt über Initiativen und Projekte der örtlichen Behörden und Vereine zu organisieren. Aber mehrere Dinge werden nebeneinander bestehen. Die Initiative wird vielleicht von einer Gruppe ausgehen, die ein Projekt trägt, aber öffentliche Strukturen werden den Raum bereitstellen. Beides greift ineinander. Und daneben werden immer noch private und öffentliche Akteure die Stadt gestalten, zum Beispiel mit Sozialwohnungen. Das wird nicht verschwinden. Projekte wie die Grands Voisins sind neu und werden vielleicht zunehmen, aber wir müssen so dringend Wohnraum schaffen, dass der klassische Bauprozess weiter bestehen wird.